Im Interview mit der Leipziger Volkszeitung sprach die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen der Bundesrepublik Deutschland, Klara Geywitz (SPD), über die Krise in der deutschen Bauwirtschaft, zu anspruchsvolles Bauen, steigende Wohnungsmieten und den sozialen Wohnungsbau. Klara Geywitz bekannte sich zum seriellen Bauen – und blickte skeptisch auf die geplante Verschärfung des Klima- und Umweltschutzes für den Wohnungsbau.
Entlastung: Finanzminister in der Pflicht
Angesprochen auf einen drohenden Stillstand des Wohnungsbaus in Leipzig und den weiteren Anstieg der Mieten, setzt die Ministerin auf sinkende Baukosten durch eine Entschlackung der Vorschriften:
„Wir müssen wieder einfacher bauen in Deutschland und den Kostenanstieg dämpfen […] Es gibt immer noch Bundesländer, die haben eine feste Kfz-Stellplatzsatzung. Wenn ich aber auf das Dach neue Wohnungen draufsetze, sind diese Parkplatzvorgaben oft ein Grund, warum das ganze Bauvorhaben platzt. Denn der Straßenraum vor der Tür wächst ja nicht mit.“
Um nach den Insolvenzen der Projektentwickler Euroboden GmbH, Project Immobilien Gruppe und Development Partner nicht noch mehr Entwickler in finanzielle Schwierigkeiten rutschen zu lassen, setzt Klara Geywitz auf die degressive Abschreibung für den Wohnungsbau – die bei Finanzminister Lindner (FDP) nicht auf Gegenliebe stößt. Doch die Ministerin ist optimistisch:
„Es ist doch ganz offensichtlich, dass wir – wenn wir über Wachstum reden in Deutschland – kein Wachstumspaket verabschieden können, ohne dass da Maßnahmen für die Bau- und Wohnungswirtschaft drin sind, schon aufgrund der Größe und volkswirtschaftlichen Bedeutung dieser beiden Branchen.“
Die viel diskutierte Zahl von 400.000 Wohnungen, die als Zielvorgabe des Bauministeriums jährlich gebaut werden sollten, ist laut Klara Geywitz obsolet:
„Im Prinzip müsste man sogar mehr als 400.000 Wohnungen bauen. Die Zahlen sind berechnet worden, noch bevor viele Ukrainerinnen und Ukrainer zu uns gekommen sind.“
Inzwischen sei klar, dass selbst während des Baubooms in den vergangenen Jahren nie mehr als 300.000 Wohnung fertiggestellt wurden. Eine Steigerung auf über 400.000 Wohnungen sei unter den jetzigen Bedingungen kaum möglich.
Krisenlöser: Serielles Bauen
Ein Beschleunigung des Wohnungsbaus verspricht sich Klara Geywitz vom seriellen Bauen. Hier seien große Fortschritte erzielt worden:
„Man kann jetzt beispielsweise mit Holz bauen, Grundrisse individuell zuschneiden. Bei Einfamilienhäusern haben wir eine viel höhere Quote von serieller Vorfertigung. Das heißt dann nur Fertighaus, und niemand hat Probleme damit.“
Beim Thema Serielles Bauen sieht sich die gebürtige Potsdamerin immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, sie verkläre den DDR-Wohnungsbau. Auf die Frage „Wollen Sie die Rückkehr zur WBS 70, zum DDR-Plattenwohnungsbau?“ reagiert Klara Geywitz sehr gelassen:
„Damals in den 70er-Jahren war es viel attraktiver, in einer WBS 70 zu wohnen mit fließend warmem Wasser und Fernwärme als im Stuck-Altbau in der Innenstadt, wo ich die Kohlen hochschleppen musste und das Klo auf halber Treppe war.“
Und sie ergänzt:
„Serieller Wohnungsbau ist eine Möglichkeit, schnell Wohnungen zu errichten. Gerade in der Innenstadtverdichtung spielen Baustellenzeiten eine große Rolle. In einigen Kommunen haben wir Akzeptanzprobleme mit Nachverdichtungen, wenn etwa der Hof oder das Nachbargrundstück bebaut wird. Da ist es ein Unterschied, ob die Bauzeit wenige Wochen beträgt, oder ob Sie anderthalb, zwei Jahre eine Baustelle nebenan haben. […] In Berlin gibt es jetzt Projekte, wo auf den WBS 70 noch drei Geschosse in Holzbauweise aufgesetzt werden. Da hat man Flächen gespart und gleichzeitig mehr Wohnraum geschaffen.“
Als weitere Möglichkeit, preiswerten Wohnraum bereitzustellen, nennt Klara Geywitz die Umwidmung von Gewerbeobjekten:
„[In den Städten] haben wir Wohnungsmangel und eine große Nachfrage, gleichzeitig haben wir 20, 30 Kilometer entfernt Leerstand. Schon aus Umweltschutzgründen müssen wir uns die Frage stellen: Wie schaffen wir es, diesen Leerstand besser zu nutzen? Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir nicht nur auf den Neubau blicken, sondern auch auf den Umbau von zum Beispiel nicht mehr genutzten Büroeinheiten zu Wohnungen.“
Sozialwohnungen: Schatten der Vergangenheit
Klara Geywitz betont, dass die jetzige Bundesregierung 18 Milliarden Euro in den Bau von Sozialwohnungen investiert. Einen Betrag dieser Größenordnung hätte es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Auch die Neuregelungen beim Bezug von Wohngeld und Wohnberechtigungsscheinen, die den Kreis der Anspruchsberechtigten vergrößern, zählt sie zu den wichtigen Maßnahmen, um die Mieter zu entlasten.
Allerdings wurden in der Vergangenheit Fehler begangen. Diese gelte es nun zu korrigieren:
„Wir hatten zwar eine KfW55-Förderung, die bei der Immobilienwirtschaft extrem beliebt gewesen ist. Doch der Zuschuss war nicht gekoppelt an Auflagen etwa zur Begrenzung der Miethöhe. Das hat dazu geführt, dass ganz viele Entwickler das Geld genommen und damit sehr hochpreisige Wohnungen gebaut haben, für die sie dann auch sehr hohe Mieten nehmen können. Das hat den Markt für Sozialwohnungen quasi ausgetrocknet, weil es kaum noch Projektentwicklungen und Länderförderungen dafür gab.“
Von der massiven finanziellen Förderung der Sozialwohnungen durch den Bund erhofft sich die Ministerin eine Umkehr dieses Trends. Viele Bundesländer hätten als Reaktion auf das Engagement des Bundes ihre Konditionen verbessert und würden nun den Bau von Sozialwohnungen forcieren.
Bei einem anderen Punkt kann die Ministerin zwar keine Neuregelung des Bundes verkünden, aber das Problembewusstsein im Bauministerium formulieren:
„Bodenspekulation ist einer der Gründe, warum die Baukosten so gestiegen sind.“
Folgerichtig rät sie den Städten und Kommunen:
„Eines der Geheimnisse guter Stadtentwicklung ist eine gute Bodenbevorratungspolitik, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass man zum einen überhaupt gestaltungsfähig ist und zum anderen marktdämpfend eingreifen kann.“
Kostensenkung: Abschied vom EH40-Haus?
Zum permanenten Lamento von Immobilienunternehmern, ihnen würde die Bürokratie das Bauen verleiden, verweist Klara Geywitz auf die laufende Digitalisierungsinitiative. Mecklenburg-Vorpommern habe den digitalen Bauantrag erarbeitet, der von allen Bundesländern übernommen werden könne. Bis Ende 2023 sollen 60 Prozent der Bauämter in der Lage sein, den digitalen Bauantrag entgegenzunehmen. Im Jahr 2024 sei als zweite Stufe die Bearbeitung der digitalen Bauanträge in den Bauämtern geplant.
Weiteres Potenzial zur Reduzierung der Baukosten sieht Klara Geywitz in der kritischen Durchsicht der Normen:
„Wir haben wirklich viele DIN-Normen. Viele von denen sind aber gar nicht notwendig, um das Haus sicher und gut zu machen, sondern sind Ausstattungsnormen. Das führt dazu, dass wir oft einen Mercedes bauen. Es reicht aber häufig, dass man ein anderes gutes und günstiges Modell hinstellt. Das könnten wir mit dem neuen Gebäudetyp E – E für Experimentieren – erreichen.“
Die Ministerin nimmt auch den Klima- und Umweltschutz beim Bauen unter die Lupe. Beispiel: Effizienzhaus 40. Das verlange eine sehr hoch entwickelte Technologie und verteuere das Bauen:
„Da frage ich mich: Ist das wirklich der Weisheit letzter Schluss? Wenn wir zum Beispiel sehr viel mit Recyclingmaterial bauen oder zum Beispiel mit Holz, dann erreichen wir vielleicht nicht den Effizienzwert eines EH40-Hauses, aber man hat ganz viel CO2 gespart.“
Zur geplanten Einführung des Neubaustandard EH40 am 1. Januar 2025 äußert die Bauministerin ihre Bedenken:
„Angesichts der schwächelnden Baukonjunktur und der Preissteigerungen mache ich ein Fragezeichen, ob wir das tatsächlich so umsetzen sollten. Ich glaube nicht, dass wir uns das zurzeit leisten können.“
Vollständiges Interview: Hier klicken (Paywall)
Bildnachweis: Bundesregierung/Henning Schacht