• 21. Jul 2023
  • Ulrich Hartmann

Auf Standards ist Verlass

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Warum die Standardisierung für BIM wichtig ist – und andere Länder bei den Standards weiter sind als Deutschland

In seinem berühmten Buch „Crossing the Chasm“ beschreibt Geoffrey Moore, wie es Innovationen in den Mainstream-Markt schaffen (oder auch nicht). Zu einem Zweizeiler komprimiert heißt es im Grunde: Innovatoren und Early Adopters sind experimentierfreudig. Sie sind enthusiastisch genug, um sich auf einige Risiken und Herausforderungen einzulassen.

Die Mehrheit tickt jedoch ganz anders. Sie will bewährte, vertrauenswürdige und profitable Lösungen. Nur wenn diese Gruppe von der Robustheit und Rentabilität neuer Methoden überzeugt werden kann, wird die Innovation als vertrauenswürdige Best Practice im Mainstream-Markt akzeptiert.

Das passiert natürlich nicht mit einem großen Knall. Über den Abgrund (The Chasm) hinweg unterscheidet Moore zwischen der frühen Mehrheit, der späten Mehrheit und schließlich den Nachzüglern, die wahrscheinlich nicht so schnell auf den Trichter kommen, allerdings auch keinen entscheidenden Einfluss auf die Marktakzeptanz einer Innovation haben.

Crossing the Chasm - Über den Abgrund
Standards helfen, um den Abgrund (The Chasm) zwischen einem sich entwickelnden frühen Markt und dem gereiften Mainstream Markt zu überwinden. Bild: Ulrich Hartmann nach Geoffrey Moore

Wer die Standards setzt, dem gehört der Markt

Standards können die Kluft zwischen beiden Gruppen überbrücken, weil sie Best Practices definieren und so den Grundstein für Innovationen legen, die vom Mainstream-Markt angenommen werden können. Dies kann eine wichtige Rolle spielen, insbesondere bei neuen Dingen wie BIM und Digitalisierung, wo die Vorteile nicht immer so glasklar auf der Hand liegen und Lösungen der Mitbewerber nicht so deutlich differenziert werden können.

Viele Unternehmen haben bestätigt, dass Standards bessere Chancen für ihre jeweiligen Märkte geschaffen haben. „Wer Standards setzt, dem gehört der Markt“ ist ein bekanntes Sprichwort, das Werner von Siemens zugeschrieben wird. Es kann als Aufruf an die Marktteilnehmer verstanden werden, sich aktiv an der Entwicklung von Standards zu beteiligen, wenn sie in Zukunft in ihren Märkten maßgeblich mitspielen wollen. Werner von Siemens war jedenfalls überzeugt: Standards sind der Schlüssel zum Markt.

Werner von Siemens 1885
Werner von Siemens. Bild: Public Domain CC0

Der strategische Charakter der internationalen Normung wurde von einigen führenden Wirtschaftsnationen klar erkannt und wird konsequent verfolgt. Großbritannien hat beispielsweise durch staatliche Förderungs- und Forderungsmaßnahmen die BIM-Normenreihe BS/PAS 1192 frühzeitig entwickelt (seit 2007) und anschließend zum internationalen ISO-Standard gemacht, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit seiner BIM-befähigten Bauindustrie nachhaltig zu steigern. Auch China wendet enorme Ressourcen für die Entwicklung der nächsten Version des BIM-Modellstandards IFC 5 (ISO 16739) auf und sucht systematisch nach Schlüsselpositionen für zukunftsträchtige Märkte in den relevanten Gremien der internationalen Normung.

BIM-Koordinatoren gesucht

BIM-Koordinatoren sind wichtige Wegbereiter. Sie wissen, was funktioniert und was nicht. Sie wissen, wo Engpässe existieren und wie man sie überwindet. Standards spiegeln die Best Practices der jeweiligen Disziplin wider und sollten von Praktikern verfasst werden. Und wer kennt das Tagesgeschäft besser als BIM-Koordinatoren?

Das Dilemma besteht darin, dass sie im Alltagsgeschäft genug zu tun haben. Ihnen fehlt die Zeit, um sich auch noch über Standards Gedanken zu machen. Sie sind so wertvoll für ihre Organisationen, dass keine Sekunde ihrer kostbaren Arbeitszeit verschwendet werden sollte. In Boomzeiten der Baubranche verfügt kaum jemand über ausreichende Ressourcen, um in die Zukunft des Marktes zu investieren. Weniger ausgelastete Zeiten sollte man daher nutzen, sich mit den bereits existierenden Standards vertraut zu machen oder sich von erfahrenen Experten Standardwissen im Expresstempo verabreichen zu lassen.

Einige EU-Staaten erleichtern kleinen und mittelständischen Unternehmen die Teilnahme an der Normung durch finanzielle Unterstützung als Ausgleich für ihre Bemühungen. Damit wird die wichtige strategische Rolle der Normung auf volkswirtschaftlicher Ebene klar adressiert. Die derzeitige Finanzierung des Deutschen Instituts für Normung (DIN) macht es leider notwendig, jedem Teilnehmer neben Zeit und Reisekosten auch noch einen Obolus von gut 1.000 Euro abzuverlangen. Das sollte dringend überdacht werden, will man international wieder zur Spitzengruppe aufschliessen.

Fast-Track-Standardisierung

Normungsarbeit wird oft als langsamer und umständlicher Prozess angesehen. Aber es gibt einen Ausweg. Das PAS-Verfahren ist ein moderner und schneller Weg zur Normenbildung. Die BIM-Standardreihe PAS 1192 ist ein gutes Beispiel. Das PAS-Verfahren ist in vielen europäischen Ländern verfügbar, wenn auch jeweils anders benannt. In Deutschland nennen wir es DIN SPEC.

Eine PAS kann innerhalb von Monaten entwickelt werden, unterstützt durch das jeweilige nationale Standardisierungsgremium. Die Entwicklung der DIN SPEC 91391 „Gemeinsame Datenumgebungen (CDE) für BIM Projekte“ hat beispielsweise von der ersten Sitzung bis zur Veröffentlichung (in Deutsch und Englisch) nicht länger als zwei Jahre gedauert.

Eine Gruppe von Mitbewerbern und Beratern kam zusammen, um die wichtigsten Funktionsmerkmale eines CDE zu definieren. Bis dahin war ein CDE lediglich ein Konzept, das in der ISO 19650 beschrieben wurde. Die DIN SPEC 91391 führte dies weiter aus, indem sie definierte, was ein CDE als Produktklasse ausmacht. Das Ergebnis erregte international Aufsehen und füllte offensichtlich eine Lücke.

Teil 1 ist ein leicht verständlicher Text über die praktische CDE-Nutzung. Die als Exceldatei beiliegende Funktionsliste wird häufig für eigene CDE-Ausschreibungen verwendet, um die praktische Arbeit zu erleichtern. Teil 2 der DIN SPEC befasst sich mit offenen CDE-Schnittstellen (API). Die dort vorgestellten Schnittstellenkonzepte sind bewusst sehr abstrakt gehalten, aber ausreichend, um Interesse zu wecken und das Thema in einem breiteren Rahmen anzugehen.

Die DIN SPEC 91391 ist sogar Bestandteil der BSI Kitemark Zertifizierung für Common Data Environments geworden. Beim CEN Technical Committee 442 (BIM) entwickelt nun eine Arbeitsgruppe (CEN TC 442 WG2 TG4) einen CEN-Standard für offene CDE-Schnittstellen (Open CDE API). Das Beispiel zeigt, welche Aus- und Nachwirkungen eine Fast-Track-Standardentwicklung à la DIN SPEC haben kann.

Kostenloser Download der DIN SPEC 91391: Hier klicken
Achten Sie dabei auf den Download der Exceldatei mit der kompakten Liste aller CDE-Funktionen.


Bildnachweis:
Aufmacherbild DIN: blende11.photo/stock.adobe.com

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Autor

Ulrich Hartmann

Dipl.-Ing. Ulrich Hartmann studierte Bauingenieurwesen/Bauinformatik an der TU Berlin. Er arbeitete u. a. als Wissenschaftlicher Mitarbeiter DFG-Forschungsprojekte “Distributed Engineering and Collaboration in Wide Area Networks“ an der TU Berlin (Institut für Allgemeine Bauingenieurmethoden), als Technischer Leiter im Nemetschek Forschungsteam (Nemetschek AG und Nemetschek Allplan GmbH) und als Projektleiter Building Lifecycle Forschung an der Universität Karlsruhe (KIT). Seit 2014 ist Ulrich Hartmann Product Management BIM Expert und ORACLE Academy Speaker bei ORACLE Construction & Engineering Global Business Unit.

Ulrich Hartmann ist Project Lead CEN TC 442 Workgroup 2 Task group 4 “Common Data Environments (CDE) for BIM projects – Open data exchange between platforms of different vendors via an open CDE API” und war leitender Autor der DIN SPEC 91391.

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