Die Sanierung mit Serienkomponenten ist noch holprig. Unternehmen glauben weiter an den Energiesprong – doch es gibt Zweifel am Konzept. Wir stellen zwei Meinungen zur Diskussion.
Christian Hunziker: Der Energiesprong besitzt auch in Deutschland großes Potenzial
Energetische Sanierung in Serie – für manche ist das der Königsweg, um die klimapolitischen Ziele im Gebäudebestand zu erreichen und trotzdem günstige Mieten zu erhalten. Doch die bisher realisierten Projekte zeigen, dass noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, bis sich die serielle Sanierung in der Breite durchsetzen wird.
Die Erwartungen waren groß, als die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte Wohnstadt (NHW) im Februar 2020 ein Pilotprojekt zur seriellen Sanierung in der Adolf-Kolping-Straße und der Friedrichstraße in Rüdesheim ankündigte. Drei Mehrfamilienhäuser aus den dreißiger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit zusammen 28 Wohneinheiten sollten auf serielle Art und Weise modernisiert, mit Photovoltaikanlagen auf den Dächern ausgestattet und so auf Net-Zero-Standard gebracht werden – sie sollten also so viel Energie produzieren, wie die Bewohner für Heizung, Warmwasser und Strom benötigen.
„Auf dem Weg zur Klimaneutralität“, sagte damals der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, „brauchen wir innovative Methoden, die schnell und seriell umgesetzt werden. Mit dem Projekt in Rüdesheim sind wir auf dem richtigen Weg.“
Doch das erwies sich als Irrtum. Denn das Vorhaben, das in Zusammenarbeit mit dem Start-up Ecoworks umgesetzt werden sollte, ist nicht realisiert worden.
„Wir konnten das Projekt in Rüdesheim aus verschiedenen Gründen nicht weiterverfolgen und haben es vor zwei Jahren eingestellt“, sagt Frederik Lang vom Fachbereich Kommunikation der NHW, ohne auf Einzelheiten einzugehen.
Nicht alle Erwartungen erfüllt
Der Misserfolg in Rüdesheim ist zwar ein Extremfall. Aber auch bei Projekten der seriellen Sanierung, die tatsächlich umgesetzt worden sind, hat es sich gezeigt, dass vorerst nicht alle Hoffnungen in Erfüllung gehen. Dabei waren diese Hoffnungen groß, als die Deutsche Energie-Agentur (dena) und der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen im Juli 2018 den Startschuss für die serielle Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip gaben.
„Serielles und modulares Bauen“, sagte damals GdW-Präsident Axel Gedaschko, „bietet nicht nur im Neubau, sondern auch in der Sanierung große Potenziale, um schnell und kostengünstig hochwertigen, klimaneutralen Wohnraum anzubieten.“
Das Energiesprong-Konzept stammt aus den Niederlanden und bezeichnet eine Modernisierung, die mit seriellen Methoden durchgeführt wird. Am Anfang steht dabei die Vermessung des Gebäudes mit einem 3D-Scan. Anschließend werden die Solardach- und Fassadenelemente industriell vorgefertigt und dann vor Ort montiert.
Ergänzt wird die Fassadendämmung durch eine Energieversorgung, die erneuerbare Quellen (hauptsächlich Photovoltaik) nutzt. Angestrebt wird dabei, dass vor Ort so viel Energie erzeugt wird, wie verbraucht wird. Zwei entscheidende Vorteile sind nach Ansicht der Befürworter dieser Methode mit der seriellen Sanierung verbunden: geringere Kosten und ein höheres Sanierungstempo, was wiederum die Belastungen für die Mieter verringert.
Pilotprojekte bringen noch keine Kostenvorteile
Noch aber haben sich diese Erwartungen nicht erfüllt, wie dena-Teamleiter Uwe Bigalke in einem Podcast des Portals Gebäude-Energieberater (www.geb-info.de) sagt. Die ersten Projekte seien noch nicht schnell gewesen, und auch die Kosten wären sehr hoch, räumt Bigalke darin ein. Allerdings dürfe man bei den Pilotvorhaben auch noch keinen Kosteneffekt erwarten, da zunächst der Baukasten entwickelt werden müsse. In den Niederlanden, so der dena-Experte, hätten sich die Kosten mit der Zeit um 30 bis 50 Prozent senken lassen. Hingegen hätten erste Messungen bei den realisierten Projekten gezeigt, dass der angestrebte Net-Zero-Standard tatsächlich erreicht worden sei.
Net-Zero funktioniert in Herford
Das bestätigt Magnus Kasner, Geschäftsführer der WWS Wohn- und Wirtschafts-Service Herford GmbH. Die kommunale Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen startete 2021 eines der bundesweit ersten Energiesprong-Projekte, das vier kleine, 1957 errichtete Wohngebäude in der Ulmenstraße mit zusammen 24 Wohnungen umfasst. Mit der Umsetzung der Sanierung beauftragt war die österreichische GAP Solutions GmbH. Kasner zeigt sich mit dem energetischen Ergebnis sehr zufrieden: Der Net-Zero-Standard werde knapp ein Jahr nach Abschluss der Sanierung nicht nur erreicht, sondern sogar deutlich übertroffen.
„Die vier Gebäude erzeugen bilanziell saldiert mehr Energie, als in ihnen verbraucht wird“, erläutert Kasner. „Circa 140.000 kWh erzeugtem Photovoltaik-Strom steht ein Stromverbrauch in den 24 Studenten-WG-Wohnungen von ca. 80.000 kWh gegenüber.“
Vonovia hofft auf sinkende Kosten
Nicht konkret beantworten will Kasner die Frage nach den Kosten der seriellen Sanierung. Ein Vergleich des Pilotprojekts mit den Kosten einer konventionellen Sanierung sei nicht zielführend, da im zweiten Fall wesentlich geringere Energie- und CO₂-Einsparungen erzielt worden wären, begründet dies der WWS-Geschäftsführer.
Mit seiner Zurückhaltung in Bezug auf die Kosten steht Kasner nicht alleine da. Auch Jana Kaminski, Pressesprecherin von Vonovia, nennt mit Blick auf ein von Vonovia zusammen mit der Fischbach Gruppe realisiertes Pilotprojekt in Bochum keine Zahlen.
„Insgesamt“, erklärt sie, „werden die Kosten für dieses Sanierungsmodell perspektivisch nochmals sinken, wenn die Anzahl der Anbieter steigt und das Konzept in Deutschland an Serienreife gewinnt.“
Als positive Punkte hebt Kaminski die Verkürzung der Montagezeit vor Ort hervor, die einen wesentlichen Mehrwert für die Mieter bringe. Überzeugend sei zudem der Vorfertigungsgrad, der das Einhalten hoher Qualitätsstandards erlaube. Im Einzelnen hätten sich auch Punkte gezeigt, die verbessert werden könnten – zum Beispiel beim Verankerungssystem für die Fassadenmodule.
Beim Start des Pilotprojekts in Bochum im Oktober 2021 hatte Vonovia das Ziel einer warmmietenneutralen Umsetzung ausgegeben. „Die Lebenshaltungskosten der Bewohnerinnen und Bewohner sollen – abhängig vom individuellen Verbraucherverhalten – dabei nicht steigen“, hieß es damals. Ob das Ziel erreicht worden ist, lässt sich laut Kaminski noch nicht sagen, da die erste vollständige Heizperiode nach der Modernisierung noch nicht abgeschlossen ist.
LEG: Bauzeit halbiert
Besonders großen Wert auf die serielle Sanierung legt die LEG Immobilien SE, die zu diesem Zweck im Frühjahr 2022 zusammen mit der österreichischen Rhomberg Bau Gruppe das Gemeinschaftsunternehmen Renowate gegründet hat. Ende 2022 schloss Renowate das erste Projekt ab, in dessen Rahmen 47 Wohnungen in acht Gebäuden in Mönchengladbach modernisiert wurden. Dank der Montage vorgefertigter Fassadenelemente und dem Einbau von Wärmepumpen reduzierte sich der Energiebedarf rechnerisch um 95 Prozent. Die Kosten beziffert die LEG auf rund 1.700 Euro pro Quadratmeter. Die Bauzeit halbierte sich im Vergleich zum konventionellen Vorgehen auf vier Monate.
Trotz dieser Erfolge sieht die LEG nach den Worten von Pressesprecher Mischa Lenz „noch viel Optimierungspotenzial bei den administrativen Themen wie Koordination, Logistik und den konkreten Ablaufprozessen der operativen Umsetzung“. Auch ein Beispiel nennt Lenz dafür: „Beim ersten Projekt hat es Wochen gedauert, bis aus der digital vermessenen Punktwolke die Planung für die Module und Technik stand.“ Inzwischen dauere das dank algorithmusbasiertem Vorgehen nur noch Tage.
Dass die Herausforderungen in den Details liegen, zeigen weitere Ausführungen von Lenz. So sähen die sanierten Gebäude zwar gleich aus, seien aber doch individuell – „und wo auf Bauplänen Steine markiert sind, kann sich auch eine Zeitung anfinden“. Zudem bedürfe es einer gewissen „Tüftelei“, die Gewerke so zu kombinieren, dass möglichst viele Bauteile aus einem Guss installiert werden könnten.
Steiniger Weg bei der VBW Bochum
Ein differenziertes Zwischenfazit zieht auch die VBW Bauen und Wohnen GmbH, die 2021/2022 einen Komplex mit 32 Wohnungen in der Mörikestraße in Bochum nach dem Energiesprong-Prinzip energetisch auf Vordermann brachte. Partner war in diesem Fall B&O. Die Kosten beliefen sich auf 4,5 Millionen Euro, was bei einer Wohnfläche von 2.368 Quadratmetern 1.900 Euro pro Quadratmeter entspricht. „Grundsätzlich sind wir mit dem Ergebnis unseres ersten Energiesprong-Piloten an der Mörikestraße zufrieden“, sagt Dominik Neugebauer, Pressesprecher der VBW. „Der Weg dahin war jedoch steinig.“
Als heikel erwies es sich beispielsweise, dass die Sanierung in bewohntem Zustand erfolgte. Ziel sei es gewesen, „minimalinvasiv“ vorzugehen, sagt Neugebauer. „Es hat sich dann aber herausgestellt, dass die Belastung und die Eingriffe doch sehr hoch waren.“
Zu den weiteren Erkenntnissen zählt, dass der Vorfertigungsgrad weiter erhöht und die Kommunikation vor Ort verbessert werden müssen. Auch technisch zeigte sich Verbesserungspotenzial. So will die VBW beispielsweise bei künftigen Projekten von dezentralen Kraft-Wärme-Pumpen auf eine zentralisierte Lösung umsteigen. Denn es habe sich gezeigt, dass der Einbau eines dezentralen Energiemoduls pro Wohnung aufwändig sei und eine erhebliche Belastung der Mieter darstelle.
Weitere Projekte in Planung
Umsetzen will die VBW diese Änderungen bei einem Nachfolgeprojekt in der Wichernstraße in Bochum. Auch die meisten anderen Unternehmen, die sich an das Energiesprong-Konzept gewagt haben, wollen es nicht bei dem einen Projekt bewenden lassen. Die Vonovia beispielsweise wird nach eigenen Angaben in Kürze mit einer größeren Modernisierung in Witten beginnen und plant darüber hinaus weitere Energiesprong-Projekte. Die LEG will in diesem Jahr gut 150 Wohneinheiten im eigenen Bestand von Renowate sanieren lassen; außerdem hat das Gemeinschaftsunternehmen einen ersten externen Auftrag akquiriert.
Und sogar die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte Wohnstadt hat sich trotz des Misserfolgs in Rüdesheim nicht komplett von der seriellen Sanierung verabschiedet: „Wir sehen“, versichert Pressesprecher Frederik Lang, „nach wie vor sehr großes Potenzial in der seriellen Sanierung und befinden uns deshalb derzeit in Gesprächen mit potenziellen Partnern, die uns bei zukünftigen Projekten unterstützen könnten.“
Heinz Kölzer: Ohne landesspezifische Anpassungen ist der Energiesprong nicht auf Deutschland übertragbar
Energiesprong Deutschland fiel bisher einem Geburtsfehler zum Opfer. Am Anfang stand der Wille, den in den Niederlanden für eine lokale Situation geprägten Begriff Energiesprong als plakatives Vehikel zu verwenden, um in einer völlig anderen Umgebung in Deutschland entgegen dem Rat von Fachleuten „Low Hanging Fruits“ zu ernten, die nur in der Fantasie von dena (Deutsche Energie-Agentur) & Co. existieren.
Anders als in den Niederlanden gibt es in Deutschland fast nirgendwo so stark standardisierte Gebäudeeinheiten, die gleichzeitig auch noch klein genug sind, um Dach- und Fassadenseiten in Serie zu fertigen, auf die Baustelle zu liefern und dort am Stück montieren zu können.
Digitaler Zwilling und Losgröße Eins
Die Antwort auf deutsche Verhältnisse mit großer Individualität und deutlich größeren Einheiten muss angesichts stetig wachsender Komplexität der Gesamtaufgabe Bauen eine serielle Fertigung in Losgröße Eins sein. In einer gemeinsamen Betrachtung mit den inzwischen selbstverständlichen Anforderungen
- CO₂-Neutralität
- Regionalisierung in Bezug auf Landesbauordnungen, aber auch auf Materialverfügbarkeit und klimatische Besonderheiten
- Resilienz (Extremwetterereignisse, Anpassung in Richtung Heizung und Klimatisierung, Regenwassermanagement)
- Quantifizierbare Nachweispflichten über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes
- Vorfertigungstauglichkeit der Planung durch Digitalisierung des Gesamtprozesses
- C2C-Anforderungen (Kreislaufwirtschaft in Bezug auf Materialien, Verfahren, Bauphase, Nutzungsphase und Rückbauphase)
ist die Gesamtmaßnahme nur mit Einsatz der BIM-Methodik für Planung, Vorfertigung, Bau, Betrieb und Rückbau realistisch in einer definierten Qualität durchführbar. In die gleiche Richtung zielt der – seit Anfang 2023 für Bauten des Bundes verbindliche – Masterplan BIM für Bundesbauten (Download als PDF).
Die Voraussetzung dafür wiederum ist eine präzise Bestandserfassung mit einem geometrischen Zielmessfehler von 5 mm und einer semantischen Informationsdichte, die Planen und Bauen mit BIM samt Datenübergabe und – nach Abschluss der industriellen Produktionsschritte (idealerweise in Industrie-4.0-Kategorien) – die Übernahme der relevanten Daten in ein BIM-Modell erlaubt. Zwingende Voraussetzung dafür ist die Erstellung und lückenlose Pflege eines digitalen Zwillings. Ohne digitalen Zwilling ist keine Qualitätssteigerung, aber auch keine Kostenersparnis durch den Einsatz von BIM als Kooperations- und Kollaborationsplattform möglich. Für die lokalen Arbeiten, aber noch mehr für die anschließende Betriebsphase bis hin zu einer kreislaufgerechten Demontage- und Wiederverwertungslösung am Ende des Nutzungszyklus ist das BIM-Modell von unschätzbarem Wert. Zudem senkt es signifikant die Betriebskosten.
Die Auswahl von Energieerzeugungskomponenten sollte dagegen mit Blick auf regionale Gegebenheiten erfolgen. Biomasse in einer Großstadt beispielsweise ist ein Nischenkonzept. Eine gestaffelte Reihenfolge, beginnend mit Photovoltaik als preiswertestem Weg zu elektrischer Energie, lässt sich jedoch mit sorgfältiger Planung fast immer zu einem sinnvollen, in vielen Fällen auch zu einem autarken Energiekonzept ausbauen. So könnte der Energiesprong in Deutschland aussehen!
Info: Was bedeutet Energiesprong?
Die Deutsche Energie-Agentur (dena) definiert Energiesprong als „neuartiges und innovatives Sanierungsprinzip“. Dieses setzt auf einen digitalisierten Bauprozess und standardisierte Lösungen mit seriell vorgefertigten Elementen. Ziel ist es, durch die Sanierung den Net-Zero-Standard zu erreichen, sodass das Gebäude über das Jahr gerechnet so viel Energie für Heizung, Warmwasser und Strom erzeugt, wie die Bewohner verbrauchen. „Perspektivisch“, heißt es bei der dena weiter, „soll diese Sanierung zudem warmmietenneutral umsetzbar sein.“ Besonders geeignet für die Anwendung des Prinzips sind kleinere Mehrfamilienhäuser aus den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren mit einfacher Hülle und hohem Energieverbrauch.
Ein Energiesprong, der den Namen verdient, sollte in der Definition um folgende Aspekte erweitert werden:
- (open)BIM in Planung, Ausführung und Betrieb für nachvollziehbare Ergebnisse
- IPA (integrierte Projektabwicklung) als Voraussetzung für eine kollaborative Vorgehensweise
- Integration der unvermeidbaren Komplexität zur Erfüllung der oben genannten Anforderungen
- Transparente Auflösung von Zielkonkurrenz zwischen ökologischen und ökonomischen Anforderungen
Unübersehbar ist der Weg zu diesem Verständnis noch von diversen Herausforderungen begleitet. Das darf uns aber nicht davon abhalten, die Dinge so gut wie möglich zu tun!
Die Veröffentlichung des Beitrags von Christian Hunziker erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift IVV immobilien vermieten & verwalten, HUSS-MEDIEN GmbH. Erstveröffentlichung: IVV, Ausgabe 5/2023.
Bildnachweis für Aufmacherbild:
Energiesprong-Pilot in Nottingham, UK. Das Energiesprong Pilotprojekt in Nottingham war 2019 eine der ersten seriellen Sanierungen in Großbritannien.
Copyright: Energiesprong International, CC BY 2.0